Mehr Reichweite oder schnelleres Laden – der Grundkonflikt der Batterieentwicklung
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Muster für künftige Ladestationen der Ingolstädter Autobauer: Das Audi charging hub in Nürnberg.
© Quelle: Audi
Reichweite? Schnelles Laden? Was ist wirklich wichtig für die Alltagstauglichkeit eines Elektroautos? Beides natürlich. Bei der Entwicklung von Hochvoltbatterien für den E-Antrieb können auch beide Faktoren beeinflusst werden. Das Problem ist nur: Zwischen diesen beiden Größen besteht ein Zielkonflikt.
Leider gilt nämlich: Je größer die für die Reichweite entscheidende Energiedichte ist, desto länger dauert das Laden. Eine Batterie lässt sich bei gleicher Kapazität also so auslegen, dass sie dem E-Auto eine höhere Reichweite beschert, aber dafür an der Schnellladesäule vielleicht zehn Minuten länger für eine 80-Prozent-Ladung benötigt. Oder eben umgekehrt: Weniger Reichweite, kürzerer Ladestopp.
Um dabei für die Kunden eine optimale Lösung zu finden, muss schon sehr früh, bis zu vier Jahre vor der Serienproduktion, in die tiefste Zellstruktur der Batterie eingegriffen werden. Zur Veranschaulichung: Ein Audi e-tron GT, Schwestermodell des Porsche Taycan, hat einen 85 kWh großen Antriebsakku mit 33 Modulen zu je 12 Batteriezellen. Insgesamt also 396 Zellen, in denen sich beim Laden Vorgänge in Größenordnungen von Mikrometern abspielen, das sind tausendstel Millimeter. Dort und im noch winzigeren atomaren Bereich, in dem es um das Verhalten der Lithium-Ionen geht, stellt sich Dr. Bernhard Rieger, Zellexperte im Audi-Batterietechnikum in Gaimersheim, der Problematik um Energiedichte und Schnellladefähigkeit.
„Wie beim Leeren eines Stadions“
„Die Kunst beim Schnellladen von Lithium-Ionen-Zellen besteht in einer präzisen Stromregelung“, sagt Rieger. „Dabei darf es nicht zu einer Überladung kommen, denn das würde zu einer schnelleren Alterung der Batterie führen.“ Dieses Szenario am negativen Pol der Zelle, zu dem die Lithium-Ionen beim Laden wandern, kann in etwa mit dem Leeren eines Fußballstadions verglichen werden. Geschieht das in Ruhe ohne Drängelei, ist es problemlos. Wenn in Panik alle gleichzeitig zum Ausgang drängen, wird es gefährlich.
Deshalb wird die maximale Schnellladeleistung, die beim Audi GT mit 270 kW angegeben ist, nur bei relativ leerer Batterie und über einen kürzeren Bereich bis vielleicht 30, 40 Prozent abgeschöpft. Die Ladekurve flacht dann mehr oder weniger deutlich ab. 23 Minuten für einen Ladezyklus von 5 bis 80 Prozent Akkukapazität für einen derart großen Energiespeicher sind dennoch ein Spitzenwert, wie man ihn nur mit 800-Volt-Technik erreichen kann.
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Dr. Bernhard Rieger, Zellexperte im Audi-Batterietechnikum in Gaimersheim.
© Quelle: Audi
So erklärt der Zellexperte zwar, dass „wir uns bemühen, die optimale Balance von Energiedichte und Ladefähigkeit zu erzielen“, ergänzt aber auch: „Wenn das Grundbedürfnis nach Reichweite erfüllt ist, wird die Ladefähigkeit relevanter.“ Tatsächlich nimmt die Bedeutung der Reichweite für die Langstreckentauglichkeit ab, wenn ein Elektroauto Autobahnetappen von 200 bis 300 Kilometern problemlos schafft. Danach gebietet die Vernunft ohnehin eine Pause, in der das E-Auto ruckzuck am Schnelllader angestöpselt ist und 20 Minuten zur Stromrückgewinnung für die nächste Etappe ausreichen. Die Zeit kann für einen Kaffee oder einen Snack genutzt werden. Entlang der Autobahnen ist das Schnellladenetz mittlerweile auch ganz passabel und wächst kontinuierlich weiter.
Weitere Stellschrauben: Batterieelektronik, Thermomanagement und Lebensdauer
Es liegt demnach also in der Hand der Batterieentwickler und damit natürlich auch der Automobilhersteller, wie zukünftig die optimale Balance von Energiedichte und Ladefähigkeit interpretiert wird. Da legt die eine Automarke vielleicht trotzdem mehr Wert auf eine große, die andere favorisiert bei gleicher Batteriekapazität kürzere Ladestopps. Zumal es noch weitere Stellschrauben gibt wie die Batterieelektronik, das Thermomanagement oder die Hochvoltperipherie und Lebensdauer sowie höchste Sicherheitsstandards dabei auch nicht zu vergessen sind.
Natürlich ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur ein weiterer wichtiger Faktor. Dass die Hersteller dabei nicht nur eine Zuschauerrolle spielen müssen, beweist Audi mit seinem Charging Hub in Nürnberg. Weil sogenannte HPC-Ladesäulen (High-Power-Charging) hauptsächlich entlang der Autobahnrouten ausgebaut werden und im urbanen Umfeld eher dünn gesät sind, hat die VW-Tochter als erster Hersteller weltweit im Dezember 2021 das Pilotprojekt einer eigenen modularen Schnellladestation am Nürnberger Messegelände gestartet. Und die Resonanz war bisher so positiv, dass schon in diesem Jahr weitere Stationen in Zürich, Berlin und Salzburg sowie elf weitere in Großstädten bis 2024 geplant sind.
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Im Batterie-Testzentrum in Gaimersheim werden von Prototypenbatterien bis zum serienreifen Akku die unterschiedlichsten Batterien entwickelt und getestet. Im Bild ist eine Batterieeinheit aus dem Audi e-tron zu sehen.
© Quelle: Audi
Audi testet eigene Ladestruktur
Der aus flexiblen Containerwürfeln bestehende Hub in Nürnberg, der innerhalb von zwei bis vier Wochen auf- und abgebaut werden kann und keinerlei Tiefbaumaßnahmen erfordert, liefert sechs HPC-Plätze mit einem Ladevolumen von 800 Kilowattstunden (kWh). E-Autos können hier mit maximal 320 kW beladen werden. Und besonders stolz sind die Ingolstädter auf das nachhaltige Konzept, da als Stromspeicher gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien fungieren, die aus zerlegten Erprobungsfahrzeugen stammen und somit einem „Second Life“ zugeführt werden. Dank dieses 2,45 Megawattstunden großen Zwischenspeichers benötigt der gesamte Standort in Nürnberg lediglich einen 200-kW-Anschluss an das Niederspannungsnetz, um die Speichermodule kontinuierlich zu füllen und bis zu sechs Fahrzeuge gleichzeitig aufzuladen.
Die Schnellladestation steht allen Fabrikaten offen. Eine Reservierungsmöglichkeit für einen 45-Minuten-Slot sowie die Nutzung der Lounge, die mit Bildschirmen und WLAN ausgestattet für eine entspanntes Ladeerlebnis sorgen soll, ist allerdings Audi-Kunden vorbehalten. Nur der Zugang zu den Vorräumen mit Kaffee- und Snack-Automaten ist für alle offen.
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