Tiktok: Rasantes Wachstum in 2019, große Herausforderungen in 2020
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Mit Tiktok können Nutzer kurze Handyvideos zu Musik oder zu anderen Videos erstellen. Andere können dazu kommentieren, Herzen verteilen oder anderweitig reagieren.
© Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa
Hannover. Tiktok ist die App des Jahres 2019. Als erstes soziales Netzwerk aus China konnte Tiktok den europäischen und amerikanischen Markt erobern – und das rasant. Die App wurde mehr als eine Milliarde Mal heruntergeladen und ist weltweit verfügbar, in 175 Sprachen. Wie viele Menschen in Deutschland bei Tiktok sind, teilt die App nicht mit – aber nach Informationen des amerikanischen Onlinemagazins „Digiday“ sind es hierzulande rund 5,5 Millionen Nutzer monatlich. Der Großteil sei weiblich. Doch vor allem sind die Tiktok-Nutzer eines: jung.
Und obwohl selbst die altehrwürdige „Tagesschau“ inzwischen einen Tiktok-Account hat – vielen, vor allem älteren, Menschen ist nicht ganz klar, worin der Reiz dieser App liegt. Warum sollte man Tiktok auch 2020 im Auge behalten?
Brutkasten zahlreicher Trends: Tiktok lebt von Kreativität der Nutzer
Tiktok kann Spaß machen. Mühelos versinkt man im ständigen Fluss der Videos. Im Schnitt verbringen Nutzer auf der Plattform rund 50 Minuten täglich, berichtet „Digiday“. Ein Vorteil, den die App hat: Um spannende Inhalte zu sehen, muss man sich – anders als bei Twitter, Instagram und Co. – nicht erst mühevoll einen eigenen Feed kuratieren. Das übernimmt der sogenannte For-You-Feed, in den ein Video nach dem anderen einläuft. Der Algorithmus merkt sich, welche Videos man gerne sieht.
Auf Tiktok tauchen Ideen auf, gehen viral, werden weiterentwickelt, umgedeutet und neu interpretiert. Die App lebt dabei von der Kreativität der Nutzer. Auf diese Weise ist das Netzwerk zum Brutkasten zahlreicher Trends geworden. Ob das nun „Ok, Boomer“, die schnoddrige Zusammenfassung eines ganzen Generationenkonflikts, ist oder „Old Town Road“ des Rappers Lil Nas X, der Cowboyhit des Jahres. Wer wissen will, was aktuell bei Teenagern angesagt ist, der sollte Tiktok kennen.
Vorwurf der Zensur: Wird Tiktok von der chinesischen Regierung beeinflusst?
Die App öffnen heißt, ein Stück weit der Welt zu entfliehen. Das ist angenehm, angesichts der anstrengenden Selbstdarstellung bei Twitter, dem allzu perfekten Leben bei Instagram und den überdrehten Prolls bei Youtube. Doch die lustige, kreative Welt von Tiktok wirkt fast zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht suchen die Nutzer auf Tiktok ja tatsächlich nur Unterhaltung. Vielleicht interessieren sie sich wirklich nicht für das politische Geschehen rund um den Globus. Doch vielleicht hilft Tiktok auch nach.
Darauf deuteten zumindest Berichte von Netzpolitik.org hin. Darin werfen Journalisten Tiktok vor, ein „System des Promotens und Ausbremsens zu fahren“: Bestimmte Inhalte würden sichtbar und viral, andere könnten hingegen nie durchstarten. Zu den unliebsamen Videos gehörten, das legt Netzpolitik.org nahe, etwa solche über die Proteste in Hongkong oder den Aktivisten Joshua Wong. Der Vorwurf, die App, die zum chinesischen Technologiekonzern Bytedance gehört, zensiere im Sinne der Regierung, wurde 2019 immer wieder laut.
Tiktok widerspricht dieser Darstellung: Moderationsentscheidungen würden durch keine fremde Regierung beeinflusst – einschließlich der chinesischen. Auch würden keine Videos von den Protesten in Hongkong entfernt oder in ihrer Reichweite unterdrückt.
Magersucht-Wettbewerb und fragwürdige Moderationsregeln: Tiktok steht vor Herausforderungen
Eine andere Moderationspraxis, die ebenfalls von Netzpolitik.org aufgedeckt wurde, musste Tiktok aber einräumen: Die Plattform hatte ihre Moderatoren angewiesen, Videos von Menschen mit Behinderung in ihrer Reichweite zu begrenzen. Laut Netzpolitik.org landeten auch homosexuelle und dicke Menschen auf einer Liste von „Besonderen Nutzern“. Tiktok versicherte, man habe auf die Zunahme von Mobbing auf der Plattform reagieren wollen. Inzwischen sei die Regel aber längst abgelöst worden. Die Empörung war trotzdem – und zu Recht – groß.
Auf Tiktok warten daher einige Herausforderungen: Gute und vor allem transparente Moderationsregeln zu erstellen muss für das soziale Netzwerk 2020 eine Priorität sein. Auch das Thema Jugendschutz wird Tiktok im neuen Jahr wohl weiter beschäftigen. Die Nutzung der App selbst ist eigentlich ab 13 Jahren erlaubt – bis zum Alter von 18 Jahren braucht man das Einverständnis der Eltern. Doch um nur Videos zu schauen, ist eine Angabe des Alters nicht nötig.
Gleichzeitig ist Tiktok – wie andere soziale Netzwerke auch – ein Ort, an dem sich auch zweifelhafte Trends ausbreiten können. Dazu gehört ein inoffizieller Wettbewerb, bei dem Nutzer ihre Magersucht zur Schau stellen. Die Frage, wie man junge Nutzer vor solchen negativen Einflüssen schützen kann, muss bei Tiktok angesichts der jungen Nutzer besonders drängen.
Noch ist die Zahl der Menschen über 30 auf Tiktok überschaubar. Der Reiz für Teenager liegt ja eigentlich auch genau darin, dass sich hier nicht wie bei Facebook Mama und Papa tummeln. Trotzdem: Um weiterzuwachsen, muss Tiktok auch Erwachsene erreichen, muss 2020 also selbst erwachsen werden, in mehrfacher Hinsicht.