Die große Pause: Digitale Schule während der Corona-Krise

Unterricht zu Hause: In Sachen Homeschooling gibt es deutschlandweit große Differenzen.

Unterricht zu Hause: In Sachen Homeschooling gibt es deutschlandweit große Differenzen.

Leere Tafeln, verlassene Klassenräume, Stille auf dem Pausenhof – seit drei Wochen sind die Schulen in Deutschland mittlerweile geschlossen. Welches Ausmaß die Corona-Krise auf den regulären Schulbetrieb hat, ist dabei wie in so vielen anderen Bereichen kaum abzuschätzen. Während die Kultusministerien sich um drängendste Anliegen kümmern, stehen viele Lehrer mit ihren Fragen alleine da. Wie kann ich meine Schüler auch bei Unterrichtsausfall begleiten? Wer kümmert sich um die Lernschwächeren? Und woher bekomme ich digitales Material für das Homeschooling?

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Eine Antwort auf letzte Fragen bilden die zahlreichen Lernplattformen, die es in Deutschland bereits gibt. Mithilfe dieser digitalen Schulbücher können etwa Materialen und Dateien hochgeladen, Links ausgetauscht und Nachrichten verschickt werden. Allerdings setzt jedes Bundesland – wie in den meisten Bildungsfragen – auf eigene Lösungen. Während etwa in Bayern und Bremen bereits einheitliche Programme zum Einsatz kommen, herrscht anderswo ein digitaler Flickenteppich.

Ohne Laptop und WLAN – es mangelt an der Ausstattung

Die Digitalisierung von Lerninhalten stand bisher auch deshalb nicht an erster Stelle, da an vielen Schulen noch immer die Infrastruktur für digitalen Unterricht fehlt. Wo in manchen Bildungseinrichtungen neue Laptops, smarte Tafeln und vollfunktionsfähige Lernmanagementsysteme zur Verfügung stehen, verstauben anderenorts altertümliche Standcomputer mit Röhrenmonitoren, die nicht mit einem WLAN-Zugang ausgestattet sind. Die aktuelle ICILS-Studie von 2018 zeigt das Ausmaß: Nur etwas mehr als ein Viertel aller Schüler besucht eine Schule, die über ein funktionierendes WLAN verfügt. Zudem haben sich die digitalen Kompetenzen der deutschen Schüler in den vergangenen fünf Jahren nicht verbessert, im internationalen Vergleich liegen sie im Mittelfeld.

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Ähnliches offenbart eine Studie des Center for European Policy Studies (CEPS). Deutschland ist europaweit am schlechtesten auf E-Learning vorbereitet und landet im Ranking auf dem letzten Platz. Auch Kinder und Jugendliche selbst erkennen das Problem: Sechs von zehn Schülern sehen einer Bitkom-Umfrage zufolge den fehlenden Einsatz digitaler Medien als das dringlichste Problem an ihrer Schule, noch vor Unterrichtsausfall und überfüllten Klassen.

100 Millionen Euro Soforthilfe für den Ausbau digitaler Plattformen

Mit dem Thema E-Learning und digitaler Unterricht setzen sich engagierte Lehrer bisher vor allem in Eigenregie auseinander, denn das Geld aus dem 5 Milliarden Euro schweren Digitalpakt Schule, der 2019 von Bund und Ländern in Kraft gesetzt wurde, floss bisher vor allem in die fehlende Ausrüstung. Software und Fortbildungen blieben auf der Strecke. Kurzfristig haben sich die Kultusministerkonferenz und das Bundesbildungsministerium deswegen dafür ausgesprochen, dass ein Teil der Summe umgehend für den Auf- und Ausbau von Onlineplattformen bereitgestellt wird. Mit 100 Millionen Euro Soforthilfe sollen Schulen dabei unterstützt werden, ihren Schülern und Lehrern den Heimunterricht zu ermöglichen. “Das ist ein Riesenschritt!”, freut sich auch Stephan Bayer, Gründer der Lernplattform Sofatutor.

Wie hoch der akute Bedarf an digitalen Lerninhalten ist, zeigen Bayers aktuelle Zahlen: In den ersten zwei Wochen nach der Schulschließung hat das Berliner Start-up eine Million Schüler mit einem Zugang zu der E-Learning-Plattform ausgestattet. Hier können Kinder und Jugendliche auf mehr als 10.000 eigenproduzierte Lernvideos, interaktive Übungsaufgaben und einen von Lehrern geführten Hausaufgabenchat zurückgreifen. Doch das Angebot richtet sich nicht nur an die Schüler. Täglich schulen die Mitarbeiter von Sofatutor auch viele Lehrer über eine Videokonferenz in Sachen E-Learning. “Wir wollen den Lehrer als Coach, als Mentor, als Moderator des Lernprozesses”, sagt Bayer. Gerade jetzt sei der tägliche Kontakt zwischen Schülern und Lehrern, ob per E-Mail, Chat oder Videokonferenz, besonders wichtig.

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Digitaler Unterricht per Videokonferenz

Wie das auch funktionieren kann, zeigt die flexible und schnelle Lösung einer Schule in Bayern. Schüler und Pädagogen des Jenaplan-Gymnasiums in Nürnberg haben es innerhalb einer Woche geschafft, ihren Unterricht komplett digital umzustellen. Der Stundenplan bleibt bestehen, die 20 Lehrer unterrichten in mehreren Videokonferenzen täglich, die Aufgabenstellung erfolgt per Chat. Die neue “Onlineschule” basiert dabei auf kostenfrei verfügbaren Softwares wie dem Videokonferenz-Tool Microsoft Teams.

Der Unterricht am Jenaplan-Gymnasium erfolgt über Videokonferenzen.

Der Unterricht am Jenaplan-Gymnasium erfolgt über Videokonferenzen.

Für die Chancengleichheit hat die Schule zudem zehn Tablets an Schüler ausgeliefert, die nicht mit entsprechender Hardware ausgestattet waren. “Die Unterrichtsstruktur hat sich gar nicht viel verändert. Man spricht mit den Kindern, gibt Arbeitsaufträge und kann das dann in Teams weitergeben. Und so haben wir die erste Woche Unterricht fast störungsfrei hinbekommen”, sagt Bernd Beisse, Leiter des Projektes. Die Schüler hätten so einen strukturierten Tag und die die Eltern könnten ungestört Homeoffice machen. Um andere Bildungseinrichtungen zu ermutigen und ihnen Ähnliches zu ermöglichen, stellt die Schule Teile des Onlineunterrichts sowie ihr Know-how zur Verfügung.

Nicht jeder Haushalt ist für Homeschooling ausgestattet

Nicht nur Lehrer und Schulen stehen vor neuen Herausforderungen. Auch für Eltern gehen mit dem Thema Homeschooling Probleme einher. Längst nicht jede Familie hat Zeit und die Chance, sich um die schulische Betreuung und die Tagesstruktur der Kinder zu kümmern. Vor allem Grundschüler können nicht ständig in Eigenverantwortung arbeiten. Sie benötigen Unterstützung und die Aufmerksamkeit einer Bezugsperson. “Jüngere Kinder brauchen auch den Umgang mit analogen Medien, Bewegung und das Lernen mit allen Sinnen”, sagt Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Leiterin des Bereichs Schule. Ausgedehnte Spaziergänge mit eingebauten Lernelementen, Bastelstunden oder intensive Hilfestellung können arbeitende Eltern oder Familien mit vielen Kindern im Alltag aber oft nicht leisten.

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Hinzu kommt, dass viele Haushalte nicht entsprechend ausgestattet sind. “In vielen Familien kann das Lernen zu Hause nicht unterstützt werden. Es fehlt an Materialien und technischen Voraussetzungen. Die Wohnungen sind eng und existenzielle Sorgen stehen im Vordergrund”, sagt Hoffmann. Schon immer bestehende Bildungsbenachteiligungen würden durch Homeschooling noch verstärkt. Für Familien, die sozial benachteiligt sind, müssten laut Hoffmann daher gezielte Programme entwickelt werden.

Chancen aus der Krise

Doch aus der aktuellen Situation ergeben sich auch Chancen. Die Eigenständigkeit von Lehrern und Schülern wird dieser Tage besonders gefordert. So lernen Kinder und Jugendliche nicht nur Inhalte, sondern auch, wie sie sich eine passende Lernstruktur aufbauen und effizientes Selbststudium betreiben. Besonders älteren Schülern kann dieses Wissen in Vorbereitung auf Ausbildung und Studium nützlich sein. Der Gebrauch digitaler Medien und die Nutzung von Endgeräten wie Smartphones, Tablets und Laptops, mit denen Kinder und Jugendliche meist gut vertraut sind, können ihre Motivation, selbstständig zu lernen, zusätzlich steigern. Videokonferenzen und Chats sorgen dafür, dass auch die wichtige soziale Interaktion zwischen Schülern untereinander und den Lehrern während der Schulschließung nicht abbricht.

Lehrende setzen sich seither verstärkt mit neuen Wegen der Wissensvermittlung auseinander. Dabei lernen sie den Umgang mit Tools und Kommunikationsmitteln, die auch künftig im Unterricht angewendet werden und zu einem abwechslungsreichen Medienmix beitragen können. Einheiten wie Erklärvideos oder interaktive Übungen helfen, den Lehrer zusätzlich zu entlasten und den Frontalunterricht abwechslungsreicher zu gestalten. Die Pädagogen können so besser und individueller auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehen.

Am Jenaplan-Gymnasium in Nürnberg haben Eltern und Lehrer sogar festgestellt, dass einige Schüler im digitalen Unterricht konzentrierter arbeiten als im normalen Unterricht. “Wir haben die Schulschließung als große Chance genauso begriffen, da nun jeder Schritt nach vorne besser ist, als nichts zu tun. Das entbindet von der Vorstellung, es gleich im ersten Schritt perfekt zu tun”, sagt Bernd Beisse.

“Die Krise hat auch zu vielen neuen Ideen an den Schulen geführt. Neue Kommunikationsformen wurden ausprobiert. Und wir sehen jetzt deutlicher als zuvor, woran es an der einen oder anderen Stelle hapert”, sagt Inka Hoffmann. Auch Stephan Bayer sieht in seinen Lehrerseminaren eine ganz andere Bereitschaft, neue Dinge zu lernen. Zudem hofft er auf mehr länderübergreifenden Austausch: “Man kann nur dafür werben, eventuell mal was zusammen zu machen. Das ist vielleicht ein Trend, der durch die Corona-Krise ausgelöst wird.”

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