Mediensucht im Corona-Jahr: Wenn das Internet krank macht

Während der Corona-Pandemie hat sich unser Alltag noch mehr ins Internet verlagert.

Während der Corona-Pandemie hat sich unser Alltag noch mehr ins Internet verlagert.

Wiesbaden. Am Anfang war die Corona-Pandemie für Patrick Durner existenzbedrohend. „Ab März letzten Jahres wurden für drei Monate alle Aufträge storniert“, berichtet der Experte für Mediensucht. Er hält bei Firmen und Institutionen Seminare über die Gefahren von exzessiver Nutzung des Internets und sozialer Medien. Außerdem gibt er Tipps zum Wiedererlangen der - wie er es nennt - „digitalen Balance“.

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Doch inzwischen hat sich die Auftragslage wieder gefangen und sogar ins andere Extrem gewandelt: Durner kann sich vor Aufträgen kaum noch retten, auch wenn er die pandemiebedingt meist online abwickelt. Corona, Lockdown und Homeoffice haben das Problem mit viel zu viel Zeit für Online-Games, Twitter, Facebook, Instagram und Co. massiv erhöht - und damit auch die Nachfrage nach Abhilfe.

Wenn die Grenzen zwischen Arbeitsalltag und Feierabend verschwimmen

Durner ist geschäftsführender Gesellschafter der Betrieblichen Suchtprävention Miehle GmbH und zugleich Vorsitzender des Vereins „Aktiv gegen Mediensucht“. Dass ihn gerade Firmen als Referenten und Seminarleiter anfragen, ist kein Wunder: Allein die wirtschaftlichen Schäden durch exzessive Nutzung von Social Media und Internet in deutschen Betrieben gehen nach Erkenntnis der Experten in die Milliarden.

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Leidtragende sind aber keineswegs nur Unternehmen, sondern vor allem die Betroffenen selbst. Im Homeoffice sind die Grenzen zwischen Arbeitsalltag am Bildschirm und Feierabend am Bildschirm fließend, von digitaler Balance keine Spur.

Und bei jungen Leuten ist es meist noch schlimmer: Waren im September 2019 von den Kindern und Jugendlichen noch 27 Prozent unter einer Stunde am Tag in sozialen Medien unterwegs und nur sieben Prozent fünf und mehr Stunden, kehrte sich im ersten Lockdown im April 2020 das Verhältnis laut einer DAK-Studie um. Werktags blieben nur noch zehn Prozent unter einer Stunde, aber schon 20 Prozent über fünf Stunden im Netz.

Freizeitmöglichkeiten waren besonders im Herbst und Winter begrenzt

Im zurückliegenden langen Winter-Lockdown mit noch weniger Freizeitmöglichkeiten draußen hat sich die Lage eher noch zugespitzt. Auch die derzeitigen Lockerungen dürften das Problem nicht gleich erledigen. Die oft erschreckenden Zahlen nennt Durner auch in einem Webinar auf dem Portal „webcare plus“. Das Portal ist speziell für Informationen über virtuelle Welten und ihre Gefahren gegründet worden.

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Dabei erklärt der Mediensuchtexperte die Faszination von Social Media. Es beginnt mit der ständigen Verfügbarkeit und dem einfachen Teilen von Erlebnissen. Dann kommt das Warten auf Belohnungen wie Likes und Antwortposts. Das erzeugt das Gefühl, wahrgenommen zu werden. Freunde, Partner und Familie sind zudem ortsunabhängig stets präsent. Und nicht zuletzt dient das Internet als Möglichkeit zur Flucht aus sozialen Zwangssituationen und zur Bekämpfung von Lageweile.

Neun Kriterien für Mediensucht - und was dagegen hilft

Es gebe neun Kriterien für Mediensucht, sagt Durner. Sucht liege vor, wenn fünf davon über ein Jahr erfüllt seien. Diese Kriterien sind: andauernde Beschäftigung mit Online-Spielen;, Entzugssymptome, wenn Spielen nicht möglich ist; Toleranz gegenüber dem Bedürfnis, zunehmend Zeit für Online-Spiele aufzubringen; erfolglose Versuche, Online-Spielen zu beenden; Verlust des Interesses an früheren Aktivitäten; exzessives Online-Spielen trotz des Wissens um die psychosozialen Probleme; das Täuschen anderer über das Ausmaß des Online-Spielens; Online-Spielen, um Hilflosigkeit, Schuld oder Angst zu verdrängen; Gefährdung wichtiger Beziehungen oder beruflicher Möglichkeiten wegen des Online-Spielens.

Barbara Voß, Leiterin der Landesvertretung Hessen bei der Techniker Krankenkasse, berichtet von einer Umfrage, nach der Menschen, die allein mehr als fünf Stunden am Tag online sind, häufiger unter Depressionen, Nervosität, Gereiztheit und Konzentrationsschwäche leiden. Deshalb unterstütze die Kasse Selbsthilfeportal wie webcare plus, die die digitale Balance der Betroffenen wieder herstellen wollen.

Patrick Durner kennt dafür kleine Tricks. Das Smartphone sollte aus dem Schlafzimmer verbannt werden. Und das Anschaffen einer Uhr und eines Weckers helfen. Wer nicht ständig wegen der Uhrzeit aufs Handy schaut, sieht nicht, wer gerade geschrieben hat. Das verringert die Gefahr, wieder lange am Smartphone hängenzubleiben.

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RND/epd

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