Geräuschkanone, Lügendetektoren und Sensoren: Europa investiert in Grenzbarrieren gegen illegale Migration

Griechenland, Feres: Ein Polizist bedient eine Schallkanone an der griechisch-türkischen Grenze. Ein Hightech-Überwachungsnetzwerk wird dort aufgebaut, um Migranten frühzeitig zu erkennen und sie von der Überfahrt abzuhalten.

Griechenland, Feres: Ein Polizist bedient eine Schallkanone an der griechisch-türkischen Grenze. Ein Hightech-Überwachungsnetzwerk wird dort aufgebaut, um Einwandernde frühzeitig zu erkennen und sie von der Überfahrt abzuhalten.

Peplo. Die von Corona gelähmte Welt kommt allmählich wieder in Bewegung, die Menschen fangen wieder an zu reisen. Da richtet Europa im wahrsten Sinne des Wortes eine lautstarke Botschaft an jene, die versuchen wollen, illegal über die Grenze zu kommen: Bleibt weg.

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Griechische Grenzpolizisten setzen ein akustisches Gerät ein, das auf einem gepanzerten Fahrzeug montiert ist und ohrenbetäubenden Lärm über die Grenze in die Türkei sendet. Es ist zwar nur so groß wie ein kleiner Fernseher, aber kann eine Lautstärke erreichen, die einem Düsentriebwerk Konkurrenz macht. Diese „Geräuschkanone“ ist Teil eines Arsenals an physischen und experimentellen neuen digitalen Barrieren, die während der stillen Corona-Monate an der 200 Kilometer langen griechischen Grenze zur Türkei installiert worden sind und getestet werden.

Ein neuer Stahlzaun – ähnlich jenem, der an der US-Grenze zu Mexiko errichtet worden ist – blockiert Abschnitte am Grenzfluss Evros, die häufig von Migranten benutzt werden, um illegal nach Griechenland zu gelangen. Beobachtungstürme in der Nähe werden mit weitreichenden Kameras, Nachtsichtgeräten und einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet. Die gewonnenen Daten sollen dann an Kontrollzentren geschickt und mit Hilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet werden, um verdächtige Bewegungen auszumachen.

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Das ermögliche ein klares Bild zu einem Zeitpunkt, an dem sich etwaige Migranten noch in einiger Entfernung von der Grenze befänden, sagte Dimonsthenis Kamargios, Leiter der regionalen Grenzkontrollbehörde, der Nachrichtenagentur AP.

Die EU hat als Konsequenz aus der Flüchtlingskrise 2015/2016 drei Milliarden Euro in die Erforschung von Sicherheitstechnologien gesteckt. Damals waren mehr als eine Million Menschen – viele davon auf der Flucht vor Kriegen in Syrien, dem Irak und in Afghanistan – nach Griechenland gekommen und von dort in andere EU-Länder geströmt.

Illegale Einwanderung: Griechenland setzt auf „moderne Ausrüstung und Werkzeuge“

Das an der griechisch-türkischen Grenze entstehende automatisierte Überwachungsnetzwerk zielt insgesamt darauf ab, Migranten frühzeitig zu entdecken und von der illegalen Grenzüberquerung abzuschrecken. Forscher an Universitäten in verschiedenen Teilen Europas haben in Zusammenarbeit mit Privatfirmen futuristische Überwachungs- und Verifizierungstechnologien entwickelt. Mehr als ein Dutzend sind bereits an griechischen Grenzen erprobt worden. Tests hat es auch in Ungarn, Lettland und anderswo an den östlichen EU-Grenzen gegeben.

In Griechenland sollen Schlüsselelemente des Systems bis Ende des Jahres in Betrieb sein, wie Kamargios sagt. „Unsere Aufgabe ist es, Migranten davon abzuhalten, illegal über die Grenze zu kommen. Um das zu tun, brauchen wir moderne Ausrüstung und Werkzeuge.“

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Dazu zählen mit künstlicher Intelligenz betriebene Lügendetektoren, Computerprogramme für virtuelle Befragungen von Migranten sowie Scanner, die das individuelle Muster der Handflächen-Venen erfassen, was dann zur biometrischen Identifizierung benutzt werden soll. Entwickelt wurde auch eine Live-Kamera-Technologie, die den Herstellern zufolge virtuell Blattwerk entfernen kann – um Menschen zu entlarven, die sich in Grenzgebieten im Gebüsch verstecken.

Europäische Politiker haben diese härtere Migrationsstrategie in den vergangenen fünf Jahren vorangetrieben. Wie weit sie sich samt der neuen Technologien auswirkt, wird sich erst einige Zeit nach Corona richtig herausstellen. Denn der Zustrom von Migranten hat sich als Folge der Pandemie in vielen Teilen Europas verlangsamt. In Griechenland etwa ging die Zahl der Ankömmlinge von fast 75.000 im Jahr 2019 auf 15.700 im vergangenen Jahr zurück. Aber der Druck wird mit Sicherheit zurückkehren. Schließlich ist die Zahl internationaler Immigranten in den vergangenen Jahren stetig und massiv angestiegen, zwischen 2000 und 2020 um mehr als 80 Prozent auf 272 Millionen, wie UN-Statistiken besagen.

Und auch trotz des coronabedingten Rückganges wurde die EU wiederholt vor Herausforderungen gestellt. So sind im Mai mehrere Tausend Migranten aus Marokko in die spanische Enklave Ceuta geströmt, als Antwort stationierte Spanien dort Soldaten. Eine ähnliche Krise hatte sich im vergangenen Jahr an der griechisch-türkischen Grenze entwickelt und drei Wochen lang angedauert.

Technologien gegen Einwanderung: Menschenrechtsorganisationen zeigen sich besorgt

Nicht alle getesteten Systeme werden in das künftige Überwachungsnetzwerk integroert. Aber Menschenrechtsgruppen warnen generell, dass die neuen Technologien es noch schwerer für Flüchtlinge machen würden, Kriegen und anderen extremen Lebensumständen zu entkommen und woanders Sicherheit zu finden.

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Der deutsche EU-Parlamentarier Patrick Breyer ist vor Gericht gezogen, um eine für Forschung zuständige EU-Stelle zu zwingen, Einzelheiten über das AI-Lügendetektor-Programm offenzulegen. „Was wir an den Grenzen und generell bei der Behandlung von Ausländern erleben, ist oft ein Feldversuch von Technologien, die später auch bei Europäern angewendet werden“, sagte Breyer, Mitglied der Piratenpartei, der AP. Er rief unter anderem dazu auf, eine umfassende Aufsicht über die Grenzüberwachungsmethoden zu erlauben, um etwaige ethische Probleme zu prüfen.

Im Grenzdorf Poros nutzen Kühe den Stahlzaun als Schutz vor dem Wind, ruhen in der Nähe. Einwohner Panagiotis Kyrgiannis sagt, dass die Barriere und andere Maßnahmen die illegalen Grenzüberquerungen völlig gestoppt hätten. Nicht, dass es ihn und die anderen in Poros sonderlich gestört hat, wie es vorher war. „Wir sind es gewohnt, sie über die Grenze und durch unser Dorf kommen zu sehen, in Gruppen von 80 oder 100“, sagt er. „Wir hatten keine Angst. Sie wollen nicht hier bleiben. Alles, was um uns herum geschieht, hat nichts mit uns zu tun.“

RND/AP

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