E-Sport in Corona-Zeiten: So könnten Sieger aussehen
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Die Corona-Krise hat auch die E-Sport-Branche getroffen, da unter anderem Liveevents vor Publikum als Einnahmequelle ausgefallen sind.
© Quelle: imago images/Agencia EFE
Hannover. Während der Corona-Pandemie gab es lange keinen Sport im Fernsehen. Millionen Menschen saßen daheim, hungrig nach Unterhaltung. Damit schlug die Stunde des E-Sports – könnte man meinen. Aber “die Realität ist etwas komplexer”, schränkt Stefan Ludwig ein. Er ist Leiter der Sport-Business-Gruppe beim Beratungs- und Prüfungsunternehmen Deloitte. Auch Hans Jagnow, Präsident des E-Sport-Bundes ESBD, “will nur ungern sagen, in einer Pandemie wären wir der Gewinner”. Seit Monaten könnte sich die Branche über gestiegene Zuschauerzahlen freuen. In Zeiten des Lockdowns liefen Rennsimulationen und “Fifa” im Fernsehen. Der virtuelle Sport, so hat sich gezeigt, ist auch für viele klassische Sportfans unterhaltsam.
Freuen mag sich trotzdem bisher kaum jemand, und das hat nicht nur Pietätsgründe. Große Zuschauerzahlen mögen ein Erfolg sein, aber es gibt auch “Turbulenzen”, wie es Ludwig formuliert. In der aktuellen Krise sind seriöse Prognosen kaum möglich. Und längst nicht alles läuft rund im E-Sport.
Mehr Zuschauer – doch wie definiert sich E-Sport eigentlich?
Zumindest das Publikum ist da. Mitte Juli vermeldete die Unternehmensberatung McKinsey, der Anteil der regelmäßigen Zuschauer habe sich während der Krise um 30 Prozent erhöht. Aber hinter solchen groben Einschätzungen verstecken sich Sonderfälle und Fragezeichen.
E-Sport ist ein fest geregelter Wettkampf zwischen Menschen mit den Mitteln eines Computerspiels. Diese Definition haben laut McKinsey nur etwa 40 Prozent der Deutschen parat. Je nach Perspektive lässt sich damit ein großes Wachstumspotenzial behaupten; schließlich wissen 60 Prozent noch gar nicht genau, was sie verpassen. Andersherum lässt sich die Zahl auch als Hürde verstehen; nach Jahren der Öffentlichkeitsarbeit müssen Zuschauer offenbar immer noch angelernt werden. Wer schon einmal E-Sport geschaut hat, der versteht das Problem.
Titel, die nicht nach Sport aussehen, sind besonders populär
Die populärsten Titel sind nicht selbsterklärend, und sie sehen überhaupt nicht nach Sport aus. Besonders erfolgreich ist “League of Legends”, bei dem zwei fünfköpfige Teams gegeneinander antreten. Jede Mannschaft wählt Fantasyhelden aus einem Pool möglicher Kandidaten, dann geht es in einem Mix aus Actionrollenspiel und Feldsport darum, die eigenen Helden zu verbessern und eine gegnerische Basis zu zerstören. Auf den ersten Blick versinkt das Spiel in einem wuseligen Feuerwerk aus Zahlen und Farben. Auch unter Spielefans gilt die Lernkurve für den Titel als steil. Egoshooter sind im E-Sport ebenfalls beliebt und leichter zu verstehen. Aber dank der blitzschnellen Spielerreflexe verlangen Duelle in Titeln wie “Counter Strike: Global Offensive” den Zuschauern ebenfalls einiges ab.
Wer das hohe Niveau der E-Sport-Profis wirklich würdigen will, der müsste die betreffenden Spiele erst einmal selber ausprobieren und ein Gefühl dafür bekommen. Viele der treuen Fans tun genau das. Aber wie viele Prozent der Nichtfans lassen sich damit anlernen?
Dank Corona wurde “iRacing” erfolgreich
Der Analyst und Investor Matthew Ball hat das Problem schon öfter erklärt: Autorennen und Ballsport seien leicht zu verstehen und machten Spaß beim Zuschauen. Auch die virtuelle Version davon sei also leicht zu vermarkten. Videospiele machten dagegen zuerst den Spielern Spaß – das Publikum stehe nicht im Zentrum des Designs. Also bedeutet der Erfolg von “iRacing” nicht, “dass ‘echte’ Sportfans jetzt bereit für ‘League of Legends’ wären”, bringt er auf den Punkt.
Einige der jüngsten Corona-Erfolgsmeldungen drehen sich genau um diese virtualisierten Sportarten. “iRacing” ist eine populäre Rennsimulation. Als die in den USA beliebten Nascar-Autorennen ausfallen mussten, konnte die “iRacing”-Version zeigen, was sie draufhatte. “Die Pandemie hat den simulierten Rennsport um mehrere Jahre vorangebracht”, argumentiert deswegen Stephen Hood von Motorsport Games gegenüber der Fachseite Esports Observer. Die Ausstrahlung im Fernsehen habe die Wahrnehmung beim breiten Publikum grundlegend verändert.
Nicht nur im simulierten Rennsport darf die Branche hoffen, stärker aus der Krise zu kommen. Ball stellt fest, durch Corona sei E-Sport insgesamt “popularisiert und legitimiert” worden. Aber wie viele Zuschauer dabeibleiben, wenn sich der Rest des Lebens wieder normalisiert, lässt sich kaum absehen.
Keine Liveevents bedeuten noch weniger Geld
Im Geld schwimmt die Branche ohnehin nicht. Sie wächst seit Jahren stetig – in einem normalen Jahr 2020 hätte sie wohl das erste Mal die globale Gewinnmarke von einer Milliarde US-Dollar geknackt. Deloitte und der Branchenverband Game erklären nun in einer gemeinsamen Meldung, warum das Ziel wohl nicht mehr zu erreichen sei. Liveevents vor Publikum sind als Einnahmequelle ausgefallen. Außerdem sei die Zahlungsbereitschaft der Zuschauer “nicht annähernd so stark gestiegen wie die Nutzerzahlen”, schreibt Sebastian Steinbach vom Game.
In Zahlen bedeutet das:
- 950 Millionen US-Dollar weltweit erzielte E-Sport-Einnahmen 2019 (McKinsey)
- 18 Millionen Euro E-Sport-Sponsorengelder in Deutschland 2019 (McKinsey)
- 443 Millionen Menschen weltweites E-Sport-Publikum 2019 (Deloitte/Game)
- 14,2 Millionen Menschen weltweite TV-Zuschauer beim 24-Hours-of-Le-Mans-Virtual-Autorennen (Esports Observer)
Schwer einzuordnen und stets hinterfragt
Ein Auf und Ab aus Hype und Ernüchterung begleitet die Branche seit Jahren. 2019 warf eine Reportage der Fachseite Kotaku grundlegende Zweifel an Zahlen und Erfolgen der Branche auf. Viele Teams und mitunter ganze Ligen wurden als schlicht nicht profitabel dargestellt, getragen nicht von Gewinnen, sondern vor allem von Sponsorengeldern. Frank Fields von Computerfirma und E-Sports-Sponsor Corsair erklärte damals, praktisch jeder in der Branche gebe zu, dass E-Sport zwar einen Wert besitze, “aber nicht annähernd das, was heutzutage gehypt wird”.
Der E-Sport bleibt schwer einzuordnen. Auf der einen Seite werden sogar schwarze Zahlen hinterfragt und Zuschauerrekorde angezweifelt. Auf der anderen Seite befeuert der Hype überzogene Erwartungen. Dazwischen steht eine vergleichsweise junge und vielgesichtige Branche. Sie wächst nach wie vor. Aber wie sie nach der Corona-Krise dastehen wird, das bleibt offen.