Offener Brief an Jens Spahn: „Corona-App ist höchst problematisch“
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Die Bundesregierung setzt große Hoffnungen in eine App zur Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Noch bevor sie in den Stores erhältlich ist, sorgt die geplante Corona-Tracing-App weiter für Diskussionen. Dabei entbrennt vor allem um das bei der Entwicklung verwendete Konzept eine hitzige Debatte.
Laut Bundesgesundheitsministerium laufe derzeit eine Machbarkeitsstudie zur sogenannten PEPP-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing)-Technologie. „Wir behalten aber natürlich weiterhin auch andere App-Entwicklungen im Blick. Am Ende suchen wir eine europäische Lösung, die so strukturiert sein muss, dass sie den deutschen Datenschutz- und Datensicherheitsstandards entspricht und mit dem deutschen Gesundheitswesen kompatibel ist,“ heißt es in einer Erklärung des Ministeriums. Die finale Entscheidung für ein Konzept sei aber noch nicht getroffen. Damit relativierte das Ministerium einen Bericht des “Handelsblatts”, die Tracing-App werde auf Grundlage des PEPP-PT-Ansatzes konzipiert.
Entwicklung der Corona-App bereits in Arbeit
Im Austausch mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Robert Koch-Institut arbeitet die Fraunhofer Gesellschaft derzeit an der Entwicklung der App. Die mobile Anwendung soll künftig dabei helfen, die Verbreitung des Coronavirus zu minimieren, indem sie ermittelt, mit welchen Personen ein Nutzer in Kontakt stand.
Die PEPP-PT-Technologie ist in den vergangenen Wochen von mehr als hundert Wissenschaftlern und Unternehmen aus acht europäischen Ländern gemeinsam entwickelt worden. Das Konzept greift auf den Funkstandard Bluetooth Low Energy zurück. Hat ein Nutzer die App installiert, so wird eine pseudonymisierte ID erstellt. Diese ID wird beim Kontakt mit einem anderen App-Nutzer untereinander ausgetauscht und auch dem Smartphone lokal gespeichert. Infiziert sich einer der Nutzer, so leitet das Smartphone die ID an einen zentralen Server weiter. Die Kontaktpersonen werden anschließend über eine mögliche Infektion informiert.
PEPP-PT-Konzept in der Kritik
Doch das PEPP-PT-Konzept stößt bei Sicherheitsexperten und Datenschützern auf Widerstand. Mit einem offenen Brief appellieren sechs netzpolitische Organisationen, darunter der Chaos Computer Club und die Gesellschaft für Informatik, an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU). Die Entscheidung für die PEPP-PT-Technologie stoße bei den Experten auf Unverständnis, da dies „der problematischste“ unter den Entwürfen sei. Das Konzept sei nicht in der Lage eine funktionierende und datenschutzfreundliche Lösung zu liefern und sei für die freiheitlich-demokratische Gesellschaft „hochproblematisch“. Die Unterzeichner fordern daher eine Neubewertung der möglichen Optionen.
Bereits Anfang der Woche hatten rund 300 Experten ihre Bedenken über das PEPP-PT-Gerüst in einem offenen Brief geäußert. Darin warnen sie vor der Gefahr von Überwachung und Missbrauch bei einer zentralisierten Speicherung von Daten. Stattdessen wird eine dezentrale Speicherung der Daten auf den Smartphones empfohlen.
Kooperation mit Google und Apple
Auch die Organisationen sprechen sich gegen die zentrale Datenspeicherung aus. Zwar werde die Identität des Nutzers durch ein Pseudonym verschlüsselt, doch eine Zurückverfolgung von infizierten Personen sei bei dieser Art von Erhebung mit deutlich geringerem Aufwand möglich als bei einem dezentralen Ansatz. Für eben diesen Ansatz haben sich auch die beiden Smartphone-Giganten Google und Apple ausgesprochen. Die Digitalvereinigungen halten eine Kooperation mit den Unternehmen für unbedingt notwendig: „Ohne die Zusammenarbeit mit den beiden Unternehmen, die fast 100 Prozent des Smartphone-Marktes abdecken, ist ein Scheitern der Tracing-App vorhersehbar“, heißt es in dem Brief.
Derzeit wäre die so geplante App tatsächlich nicht mit iOS-Geräten kompatibel. Apple will bisher nur die dezentralen Ansätze unterstützen. Wie der “Tagesspiegel” berichtet, sei das Kanzleramt derzeit mit dem Unternehmen im Gespräch, um die einwandfreie Funktion der Tracing-App auch auf iPhones zu ermöglichen.
Digitalverband fürchtet Scheitern der App
Unterstützung für das PEPP-PT-Konzept kommt unterdessen vom Digitalverband Bitkom. „Es ist dabei nicht entscheidend, ob die App auf einer zentralen oder dezentralen Architektur aufbaut - beides lässt sich datenschutzkonform umsetzen", sagte Verbandspräsident Achim Berg dem „Handelsblatt“. „Wesentlich ist, dass die verschiedenen nationalen Apps gut zusammenspielen und in der Bevölkerung hohes Vertrauen genießen.“ Dazu braucht es Transparenz. „Diese kann zum Beispiel durch eine Veröffentlichung des Quellcodes, einen Open-Source-Ansatz oder die umfassende Einbeziehung der zuständigen Datenschutzbeauftragten hergestellt werden.“
Berg warnt zudem vor weiteren Expertenstreits und einem möglichen Scheitern der App. Es sei wichtig, die Entwicklung der Anwendung nicht durch langwierige akademische Debatten noch weiter hinauszuzögern.