Staatliche Datenkrake: ein Besuch in Chinas „Big Data Valley“

Mit Big Data möchte Chinas Regierung den Alltag der Bevölkerung verbessern – und sie umfassend überwachen.

Mit Big Data möchte Chinas Regierung den Alltag der Bevölkerung verbessern – und sie umfassend überwachen.

Wer einen Einblick in Chinas datengetriebene Zukunft erhaschen möchte, wird bereits nach wenigen Augenblicken vom omnipräsenten Generalsekretär begrüßt: „Es ist Xi Jinpings Wunsch für unsere Provinz, einen innovativen Pfad einzuschlagen“, sagt der junge Mann in dunklem Slim-Fit-Anzug und mit modischem Boxerhaarschnitt.

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Er führt durch die „Big Data Exhibition“ in Guiyang, wo die Regierung auf 7000 Quadratmetern die Errungenschaften der digitalen Transformation vorstellt. Die Räumlichkeiten ähneln mit wellenförmigen LED-Leuchten, blinkenden Displays und transparenten Tischkonsolen an ein futuristisches „Star Trek“-Filmset.

Chinas Datenmekka Guizhou

Die südwestliche Provinz Guizhou, über 2000 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt, hat sich in den letzten fünf Jahren zu einem regelrechten Datenmekka entwickelt. Ob China Mobile, Alibaba oder auch Apple: Sämtliche Techriesen haben in der hügeligen Region riesige Datenzentren errichtet, eingegraben in Berghöhlen. Der Grund für die Standortwahl ist simpel: Das milde Klima sorgt für kühle Sommer, was wiederum die Rechenserver vor Überhitzung schützt. Zudem gilt die Gegend als erdbebensicher und verfügt über günstige Strompreise.

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Wer durch die Hauptstadt der einst ärmsten Provinz des Landes fährt, sieht die Früchte des chinesischen Wirtschafts­wachstums: Ganze Stadtviertel aus gläsernen Bürotürmen, riesigen Einkaufszentren und begrünten Straßen wurden in Guiyang aus dem Boden gestampft. Der dynamische Eindruck wird durch einen Blick auf die Statistiken untermauert: Selbst im Corona-Jahr 2020 konnte Guizhou ein Wachstum von 4,5 Prozent erzielen – Hauptmotor ist die Datenindustrie.

1,4 Billionen Dollar für digitale „Schlüssel­technologien“

Von 2020 bis 2025 investiert die Zentralregierung in Peking landesweit rund 1,4 Billionen Dollar in digitale „Schlüssel­technologien“ von 5G-Infrastruktur über autonome Fahrzeuge bis hin zu künstlicher Intelligenz. Allein in Guizhou befinden sich mittlerweile 23 Datenzentren mit fast vier Millionen Servern in Betrieb oder im Bau. Chinas „Big Data Valley“ wird von Peking als Experimentierlabor betrachtet, um neue Anwendungen auszuprobieren.

Mit Big Data möchte Chinas Regierung den Alltag der Bevölkerung verbessern – und sie umfassend überwachen.

Mit Big Data möchte Chinas Regierung den Alltag der Bevölkerung verbessern – und sie umfassend überwachen.

In der „Big Data Exhibition“ lassen sich einige davon begutachten: Eine Software kann aufgrund flächen­deckender Überwachung von Flussständen detaillierte Dürrewarnungen mindestens drei Tage im Vorhinein ausgeben. Zudem empfiehlt das auf künstlicher Intelligenz basierende Programm im Falle von Überflutungen, was die sichersten Routen für Rettungskräfte sind und welche Bewohner in Sicherheit gebracht werden sollten. Außerdem werden aufgrund der neuen Infrastruktur die meisten Behördengänge bald obsolet – und können per Smartphone-App abgewickelt werden. Auch helfen die Datenmengen dabei, Lieferketten zu optimieren und die Produktionsabläufe in Fabriken zu automatisieren.

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Mehr Fragen als Antworten

Dennoch bleiben mehr Fragen als Antworten: Wie geht der Staat mit Unternehmen um, die ihre Daten den staatlichen Zentren nicht zur Verfügung stellen? Und wie kann dessen massiver Stromverbrauch reduziert werden, der zunehmend mit den ambitionierten Klimazielen der Regierung in Konflikt gerät?

Vizedirektor Gao Sheng stellt sich der internationalen Presse. Doch die Nervosität steht ihm ins Gesicht geschrieben: Seine Antworten gehen, auch nach mehrmaligen Nachhaken, nicht im mindestens auf die Fragestellungen ein. Es ist eine ernüchternde Erkenntnis: Im postpandemischen China wird ausländischen Journalisten nur mehr eine offizielle Fassade präsentiert – und alles erdenkliche dafür getan, um den Blick dahinter zu erschweren.

Nur eine offizielle Fassade: Vize-Direktor Gao Sheng stellt sich der internationalen Presse – ohne allerdings Fragen zu beantworten.

Nur eine offizielle Fassade: Vize-Direktor Gao Sheng stellt sich der internationalen Presse – ohne allerdings Fragen zu beantworten.

Dabei haben die Parteikader in Peking jüngst ein neues Datenschutzgesetz ausgearbeitet, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. In seinen Grundzügen orientiert es sich am Vorbild der Europäischen Union. Shawn Hu, Anwalt der Wirtschaftskanzlei King & Wood Mallesons mit Sitz in Shanghai, hält Chinas Bemühungen um Datenschutz für „legitim und sehr normal“, kontroverse Aspekte würden oftmals von den Medien ohne Grundlage hochgespielt.

Wer bremst den Staat?

Der Staat versteht sich vor allem darauf, den Bürger vor kommerziellen Interessen der Online­unternehmen zu schützen. Die offensichtliche Gretchenfrage bleibt jedoch unbeantwortet: Zwar kann der Staat seine datenhungrigen Firmen bremsen, doch wer bremst den Staat, der sämtliche Kontrollinstanzen von kritischen Medien bis hin zur Zivilgesellschaft längst ausgeschaltet hat?

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Datenschutz besitzt eine ganz andere Dringlichkeit in einem Land, das bis in den hintersten Winkel ausgeleuchtet ist: Laut einer Recherche des „Wall Street Journals“ werden die Behörden bis Jahresende insgesamt 560 Millionen Überwachungs­kameras installiert haben. Selbst an den verlassenen Sandstränden der tropischen Insel Hainan sind längst dreidimensional aufzeichnende Sicherheitskameras installiert.

Omnipräsente Kamera­überwachung

Wie umfassend die öffentliche Überwachung ist, demonstrierte zuletzt der Performance­künstler Deng Yufeng im November: Mit einem Regal maß der 35-Jährige jeden Zentimeter einer Pekinger Straße aus, identifizierte sämtliche 89 Sicherheitskameras und deren Blickwinkel. Dann rekrutierte Deng ein paar Dutzend Freiwillige für eine geradezu taktische Operation: mit Kriechen, Schleichen und Bücken galt es, den Blicken der Staatsmacht zu entkommen. Für 1,1 Kilometer brauchte die Gruppe über zwei Stunden. Doch die meisten Chinesen stören sich nicht am omnipräsenten „Big Brother“: Sie nehmen die Kameras als Verbesserung der öffentlichen Sicherheit wahr.

Auch zwölf Zugstunden südlich, in der örtlichen Feuerwehrwache von Guiyang, soll die Überwachung dem Schutz der Bürger dienen: Mit „smarten“ Kameras können Rauchentwicklungen bereits vor der Wahrnehmung durch das menschliche Auge entdeckt werden. Zudem beobachtet man die Temperatur der städtischen Stromleitungen sowie die vorhandene Feuerschutz­ausrüstung von öffentlichen Gebäuden in Echtzeit. Auf einer eingefärbten Stadtkarte lässt sich also bereits präventiv erkennen, welche Viertel einer erhöhten Brandgefahr ausgesetzt sind.

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100.000 Fachkräfte fehlen

Doch schlussendlich befindet sich die „Big Data“-Provinz Guizhou nach wie vor in ihren Kinderschuhen. „Wir wollen die Daten in ökonomischen Nutzen ummünzen. Hier im Südwesten ist es allerdings schwierig, junge Talente anzuziehen“, sagt Hu Jianhua, Vizeleiter der örtlichen „Big Data“-Verwaltung.

Hu ist ein hemdsärmeliger Mann von bulliger Statur; einer jener seltenen Regierungs­beamten, die auch mit ausländischen Journalisten Tacheles reden: „Zwar bauen wir Ausbildungs­zentren, aber noch laufen wir den Städten an der Ostküste hinterher.“ Rund 100.000 Fachkräfte würden derzeit in Guizhous Digitalbranche fehlen.

„Wir wollen die Daten in ökonomischen Nutzen ummünzen. Hier im Südwesten ist es allerdings schwierig, junge Talente anzuziehen“, sagt Hu Jianhua, Vizeleiter der örtlichen „Big Data“-Verwaltung.

„Wir wollen die Daten in ökonomischen Nutzen ummünzen. Hier im Südwesten ist es allerdings schwierig, junge Talente anzuziehen“, sagt Hu Jianhua, Vizeleiter der örtlichen „Big Data“-Verwaltung.

Und wie kommt der chinesische Staat an die Daten seiner Onlinekonzerne? „Die meisten Unternehmen wollen zwar selbst öffentliche Daten, aber ihre eigenen Kerndaten nicht preisgeben“, sagt Hu. „Wir können sie nur ermutigen, aber natürlich nicht zwingen.“

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