„Atomic Heart“: Warum ist der Shooter so umstritten?
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„Atomic Heart“ spielt 1955 in der Sowjetunion – in einer alternativen Zeitlinie.
© Quelle: Mundfish
Ein Egoshooter, in dem die Sowjetunion in einer alternativen Zeitlinie zur technologischen und ideologischen Weltmacht aufgestiegen ist? Mitfinanziert von regierungsnahen, russischen Unternehmen? Veröffentlicht fast genau ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine? Es überrascht nicht, dass die Veröffentlichung von „Atomic Heart“ teils scharf kritisiert wird. So fordert zum Beispiel Alex Bornyakov, der stellvertretende Minister für digitale Transformation in der Ukraine, einen Boykott des Spiels, wie „PC Games N“ berichtet.
„Atomic Heart“ ist damit bereits das zweite Big-Budget-Spiel des Jahres 2023, um das sich eine Kontroverse entsponnen hat. Jüngst wurde im Fall von „Hogwarts Legacy“ diskutiert, ob es vertretbar sei, das Spiel, angesichts der Äußerungen von J.K. Rowling über trans Menschen zu kaufen. Bei „Atomic Heart“ stehen sowohl das Entwicklerteam als auch der Inhalt des Spiels im Zentrum der Diskussion.
Worum geht es in „Atomic Heart“?
„Atomic Heart“ spielt 1955 in der Sowjetunion – in einer alternativen Zeitlinie. Der Entdeckung des Wunderstoffes „Polymer“ in den 30ern folgte der unaufhaltsame technologische Aufstieg des Landes: Roboter haben den Großteil der Arbeit übernommen, die Mars-Besiedlung steht in den Startlöchern, fliegende Städte thronen im Himmel. Und der Start von Kollektiv 2.0 steht bevor: Ein Netzwerk, das alle Bewohner der UdSSR neuronal vernetzen soll, als ultimative technologische Stufe des Kommunismus.
Als KGB-Major Sergey Nechaev erlebt man diese Utopie in der ersten Stunde in einem detaillierten Gang durch eine Stadtkulisse voller Paraden, roter Sterne und Lenin-Büsten. Doch schnell wird daraus eine Dystopie, als in einer weitläufigen Forschungsanlage in den kasachischen Bergen die Roboter einen Aufstand losbrechen. Die Leichen stapeln sich, und Nechaev findet sich inmitten dieses Chaos wieder.
Glorifiziert das Spiel die Sowjetunion?
Zwei Wochen vor dem Release von „Atomic Heart“ veröffentlichte der Youtuber Harenko das Video „Please, don’t buy Atomic Heart“, in dem er schwere Vorwürfe äußerte. Dazu gehörte neben dem Vorwurf eines fragwürdigen Marketings oder der Finanzierung des Studios Mundfish auch eine Glorifizierung der Sowjetunion. Ein Vorwurf, den das ukrainische Digitalministerium ebenfalls erhebt.
Eine blinde Glorifizierung der Sowjetunion findet in „Atomic Heart“ allerdings nicht statt. Aus der scheinbaren kommunistischen Utopie wird schnell eine Dystopie. Auch optionale Storyinhalte wie Audiologs sowie Propagandaposter deuten immer wieder auf Korruption, amoralisches Verhalten der Elite und insgesamt darauf hin, dass hinter der Fassade düstere Absichten stecken. Das geschieht jedoch eher subtil und hätte genauso gut in einem anderen Szenario stattfinden können. Von den großen moralischen Dilemmata, die das offensichtliche Vorbild „Bioshock“ in seinen drei Teilen immer wieder aufwarf, bleibt in „Atomic Heart“ nicht viel. Von einer Glorifizierung der Sowjetunion zu sprechen ist also falsch – eine tiefgreifende kritische Auseinandersetzung fehlt aber auch.
Welche Kritik gibt es am Studio „Mundfish“?
Weitere Vorwürfe betreffen das Entwicklerstudio Mundfish, das mit „Atomic Heart“ sein Debüt vorgelegt hat. So verweist das ukrainische Digitalministerium unter anderem auf Medienberichte, wonach die Spielentwicklung von russischen Unternehmen finanziert wurde. So soll unter anderem die russische Investmentfirma GEM Capital beteiligt gewesen sein, deren Chef Verbindungen zu russischen Staatsunternehmen hat. Falls „Atomic Heart“ finanziellen Erfolg habe, so der Vorwurf, den unter anderem der Youtuber Harenko erhebt, fließe ein Teil des Geldes an den russischen Staat und finanziere damit wiederum indirekt den Krieg gegen die Ukraine.
Zudem wird dem Studio vorgeworfen, sich nicht eindeutig gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen zu haben. Zwar bezeichnete sich Mundfish im Januar auf Twitter als „Pro-Friedens-Organisation“, fügte aber an, dass man sich nicht politisch äußern werde.
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Wie spielt sich „Atomic Heart“?
Doch nicht nur wegen der Kontroverse um das Entwicklungsstudio, sollte der Kauf von „Atomic Heart“ zweimal überlegt sein. Auch das Spiel selbst rechtfertigt den Vollpreis kaum.
Nach dem mitreißenden Auftakt sperrt „Atomic Heart“ die Spielerinnen und Spieler erst mal mehrere Stunden im Keller ein. Hat man sich schließlich aus der unterirdischen Forschungsanlage gekämpft, wird man in eine Open World entlassen, die kaum uninteressanter sein könnte: Es gibt kaum etwas zu entdecken, Feinde „spawnen“ stets nach. Den Hauptteil des Spiels macht die Erkundung weiterer Anlagen aus, in denen das Gameplay dem Spiel „Bioshock“ ähnelt: Schuss- und Nahkampfgefechte wechseln sich mit kleineren Rätseln, Erkundung und Looten ab, damit werden Waffen und Spezialfähigkeiten wie das Verschießen von Blitzen und Feuer oder Telekinese erforscht und verbessert.
Das macht über seine rund 20 Stunden Spaß und hält durchaus bei der Stange, erzeugt dank des mauen Trefferfeedbacks und weniger Gegnertypen aber selten wirklich tolle Momente. Das gilt auch für die Story und ihre Inszenierung, die äußerst vorhersehbar ist und zudem mit einem Protagonisten auskommen muss, der sich allein durch seine Aggressivität allem und jedem gegenüber definiert und in seiner Eindimensionalität direkt einem 80er-Jahre-B‑Actionfilm entsprungen sein könnte. Zumindest die Gespräche mit der koketten KI Char-les, die in Nechaevs Handschuh steckt, sowie Begegnungen mit kuriosen Figuren wie einer schwerbewaffneten alten Dame, die in einem fliegenden Haus lebt, tragen durch die Geschichte. Eine der größten Stärken von „Atomic Heart“ ist da noch das Artdesign, das Art Déco und Brutalismus vereint.
Fazit: Trotz schicker Grafik und des tollen Designs: Aus Setting und Story macht „Atomic Heart“ zu wenig, und auch spielmechanisch gibt es im Genre der Shooter weitaus bessere Alternativen.
USK: ab 18 Jahren
Plattform: PC, PS4/5, Xbone/Series
Preis: 60 Euro (PC), 70 Euro (Konsole), enthalten im Xbox Game Pass