„Kaum Auswirkungen auf die Handlungen der Lernenden“: Klimabildung an Schulen bekommt die Note „ungenügend“!
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Junge Menschen fordern mehr Klimabildung an den Schulen.
© Quelle: RND-Illustration: Patan
Überschwemmungen, Hitzewellen, Waldbrände – der Klimawandel findet längst unmittelbar vor unserer Haustür statt. Doch sensibilisieren die Schulen die heranwachsende Generationen ausreichend für die Problematik? Werden Kinder und Jugendliche zu handlungsfähigen Individuen in der Klimakrise ausgebildet? Eine Studie, die die UN‑Kulturorganisation Unesco Ende 2022 veröffentlicht hat, zieht eine ernüchternde Bilanz: 70 Prozent der 17.000 befragten jungen Menschen zwischen elf und 25 Jahren fühlen sich durch die Schulbildung nur unzureichend auf den Klimawandel vorbereitet. Und auch bei den Fridays-for-Future-Protesten fordern Lehrende, Schülerinnen und Schüler immer wieder: Nachhaltigkeit und Klimawandel müssen stärker im Unterricht verankert werden.
Tatsächlich hat Deutschland die Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen (UN) zur Förderung einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) unterschrieben und damit auch gewisse Verpflichtungen. Die BNE gehört zu den 17 Zielen, die Unterzeichnerstaaten im Rahmen der Agenda bis 2030 umsetzen müssen. Laut Unesco ist die „Integration von BNE“ in den Lehrplänen ein Teil davon.
Was hat sich also in den letzten vier Jahren getan? „Es gab durchaus Entwicklungen in den Curricula, aber sehr große Unterschiede von Bundesland zu Bundesland“, erklärt Gerhard de Haan, Professor für Zukunfts- und Bildungsforschung an der Freien Universität Berlin. Er berät die Nationale Plattform BNE, das Gremium für die Umsetzung der UN‑Ziele im Bereich der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland.
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Weit entfernt von breiter Handlungsfähigkeit
Bildungspolitik und damit auch die Erstellung der Lehrpläne ist in Deutschland primär Ländersache. De Haan nennt vier Bundesländer als Vorreiter: Baden-Württemberg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. „Sie versuchen, das Nachhaltigkeitsthema stärker über die Lehrpläne zu spielen und auch in Standardfächern aufzugreifen, nicht nur in Geografie oder Biologie.“
Baden-Württemberg hat Bildung für nachhaltige Entwicklung bereits 2016 zur Leitlinie im Curriculum gemacht und arbeitet zum Beispiel mit Querverweisen in einzelnen Fächern. „Wir haben in Befragungen erhoben, wie hoch Schülerinnen und Schüler den Anteil von Nachhaltigkeitsthemen im Unterricht einschätzen“, erzählt de Haan. „Momentan liegen wir bei 14 Prozent. Vor fünf Jahren waren es 9 Prozent.“ Auf die Frage, wie viel sie sich wünschen würden, antworteten die Befragten aber: 40 Prozent. Und auch de Haan findet: „Das alles entspricht nicht dem, was man erwarten würde.“ Man müsse sich fragen, wo man die Norm anlege. Die Agenda bis 2030 habe das Ziel, alle zu befähigen, im Sinne der Nachhaltigkeit handeln zu können, „und davon sind wir weit entfernt“.
Das Wissen rund um die Klimakrise vergrößert sich, doch durch die Art, wie im System Schule gelernt wird, hat das kaum Auswirkungen auf die Handlungen der Lernenden.
Nora Oehmichen,
Bundesvorsitzende der Initiative Teachers for Future
Beim Stichwort Handlungsfähigkeit stellt sich jedoch eine ganz andere Frage: Sind die Lehrpläne in ihrer gegenwärtigen Form wirklich der Schlüssel? Nora Oehmichen, Bundesvorsitzende der Initiative Teachers for Future, formuliert es so: „Das Wissen rund um die Klimakrise vergrößert sich, doch durch die Art, wie im System Schule gelernt wird, hat das kaum Auswirkungen auf die Handlungen der Lernenden.“ Sie nennt das das „Teaching to the test“-Prinzip, „letztendlich ist die Klimabildung etwas, was ich für die Klassenarbeit gelernt habe, was jedoch nicht handlungsrelevant ist“.
Die BNE im Sinne der Unesco fordere aber transformatives Lernen, also die Aneignung von Fähigkeiten, die bei der ökologischen Transformation der Gesellschaft gebraucht werden. De Haan pflichtet dem bei und fügt an: „In den Schulen geht es großteils um Wissensaneignung. Doch je mehr sie über das Klimathema wissen, desto hoffnungsloser sind die meisten Jugendlichen.“ Wissen sei ein schlechter Prädiktor für Verhalten.
Blühwiesen und Insektenhotels
Wie kann man aber die Handlungsfähigkeit stärken? Neben den offiziellen Institutionen setzen sich zahlreiche Initiativen für Nachhaltigkeit an den Schulen ein: Klimaschulen, Schule im Aufbruch oder Umweltschulen in Europa. Letztere besteht bereits seit den Neunzigern und ist heute das größte Umweltprogramm an deutschen Schulen. Die können teilnehmen, wenn sie innerhalb der Projektlaufzeit ein nachhaltiges Konzept an der eigenen Schule umsetzen. Insektenhotels, Solarbackofen, die Einberufung eines Umweltrats sind Beispiele für solche Projekte. Die Münchner Grundschule an der Schäferwiese hat im ersten Jahr einen Grünstreifen am Schulgelände zur Blühwiese umgewandelt. So wollten die Kinder biodiverse Lebensräume in der Schulumgebung schaffen: „Wir haben jedes Jahr eine weitere Fläche dazu genommen“, erzählt Kathrin Heininger, Lehrerin und Umweltbeauftragte der Schule.
Das Ganze habe eine Eigendynamik bekommen, als die Kinder begannen, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu identifizieren. Als das Thema Müll auf dem Lehrplan stand, nahm die Schule das zum Anlass, die Mülltrennung besser zu organisieren. Mit dem Biomüll werden die Kompostwürmer gefüttert, die für das Kartoffelprojekt gebraucht werden, es entstehen Kreisläufe. Ohne einen Kern begeisterter Lehrkräfte und ohne Engagement, das über die Schule hinausgeht, seien solche Projekte jedoch unmöglich. Heininger hofft, dass in Zukunft mehr Geld und Stunden für Umweltbildung zur Verfügung stehen.
Lernen, um zu verändern
Das Konzept der Umweltschulen würde schon in die richtige Richtung gehen, findet de Haan: „Vieles findet zwar auf Projektebene statt, aber der Ansatz, die ganze Schule mitzunehmen, ist da.“ Diesen „whole school approach“ brauche es. Dazu gehören Energiebilanzen, Papierverbrauch, bis hin zu Mobilitätsstrukturen und das Angebot der Mensa. An den Schulen, die sich daran beteiligten, sehe man deutliche Effekte in Bezug auf das Bewusstsein der Lernenden und ihre Handlungsbereitschaft.
Nora Oehmichen sieht das differenzierter: „Solche Aktivitäten sind zwar handlungsorientiert, aber nicht transformativ.“ Transformativ wäre, ein Insektenhotel zu bauen und dann zu überlegen, welches globale Problem dem zugrunde liege. Die Antwort laute vielleicht: „Die Artenvielfalt nimmt auch ab, weil auf den Feldern um unsere Schule Pestizide verspritzt werden.“ In einem nächsten Schritt könne man versuchen, mit den Bauern, dem Landratsamt, mit politisch Verantwortlichen zu sprechen: „Transformatives Lernen bedeutet immer, aus der Schule hinauszugehen.“ Dass das nicht freiwillig nach Schulschluss oder in den Freistunden passieren kann, wie viele der aktuellen Umweltaktivitäten, ist ihr aber klar.
In unserem derzeitigen Schulsystem bleibt alles, was mit Gestaltungs- und Handlungskompetenz zu tun hat, komplett auf der Strecke
Nora Oehmichen,
Bundesvorsitzende der Initiative Teachers for Future
Freiräume schaffen und Prioritäten überdenken
Die Teachers for Future unterstützen in dem Zusammenhang Brückenformate, die Freiräume schaffen. Ein solches Format hat sich die Initiative Schule im Aufbruch mit dem Frei Day überlegt. Die Idee: Vier Schulstunden, 180 Minuten pro Woche, sind frei von Fachunterricht und Benotung. In dieser Zeit arbeiten Schülerinnen und Schüler in kleinen Projektgruppen über ein Schuljahr hinweg an Themen, die sie selbst wählen. Der Rahmen dafür sind die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele. „So können sie sehen, dass sich auch Menschen auf der Ebene der UN mit diesen Problemen beschäftigen“, erklärt Oehmichen. Die Projekte sollen ein transformatives Element beinhalten, das über die Schule hinausgeht. Dadurch könnten die Kinder eine Selbstwirksamkeit erfahren: „Sie wählen ihr Thema autonom, bringen sich ein, scheitern vielleicht auch, aber dafür gibt es keine schlechte Note.“ Es gehe darum, eine kleine Veränderung anzustoßen, „denn das sind Fähigkeiten, die sie für den gesellschaftlichen Wandel brauchen“. Das Saarland hat eine offizielle Kooperation mit Schule im Aufbruch und finanziert den Frei Day als Pilotprojekt in 21 Schulen.
Solche Freiräume zu schaffen stößt natürlich auf Gegenwind, weil es bedeutet, auf andere Inhalte zu verzichten. „In den Schulen brennt es momentan an allen Enden“, gibt Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes zu bedenken. Neben der Klimabildung gebe es zahlreiche andere große Themen wie Inklusion und Digitalisierung. „Wir haben massive Leistungseinbrüche im Bereich der Grundschule, Corona-Aufholprogramme“, zählt er auf, dazu kommen ein eklatanter Lehrkräftemangel und ungenügend qualifizierte Quereinsteigende: „Das hat natürlich Auswirkungen auf zusätzliche Projekte, die man gerne umsetzen würde.“ Schulen würden überall an ihre Grenzen stoßen, nicht nur im Bereich Nachhaltigkeit.
Deutschland und China vereinbaren engere Klimapartnerschaft
Sowohl Kanzler Olaf Scholz als auch Chinas Ministerpräsident Li Qiang betonten den Willen, beim Kampf gegen den Klimawandel zusammenzuarbeiten.
© Quelle: Reuters
Oehmichen positioniert sich klar dazu: „Wir finden den Backlash ‚jetzt erstmal Lernlücken schließen‘ bedenklich.“ Man müsse sich fragen, was denn tatsächliche Lücken sind und welche immer größer werden, wenn man vorrangig darauf achte, dass auch die letzte Vokabel sitzt. „In unserem derzeitigen Schulsystem bleibt alles, was mit Gestaltungs- und Handlungskompetenz zu tun hat, komplett auf der Strecke“, stellt sie fest, „da fragt aber komischerweise niemand nach.“