Zwischen Kommen und Gehen: Warum der Flur mehr Aufmerksamkeit verdient
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Der Flur hat mehr Potenzial, als nur Durchgangszimmer und Garderobe zu sein.
© Quelle: Blend Images
Über einen Vorhof gelangt man ins Innere der Mattisburg. Der Eingang führt direkt in die große Steinhalle, von der Ronja lange glaubte, sie sei „die ganze Welt“. Dort saß sie „geborgen unter der langen Tafel“ und spielte, während die Räuber aßen, tranken, tanzten und Späße machten. „Und die Steinhalle war wahrlich kein übler Platz für ein Kind. Viel Spaß konnte man dort haben“, schreibt Astrid Lindgren in ihrem Roman „Ronja Räubertochter“. Und wohl auch Erwachsene fühlten sich lange Zeit geborgen in solchen Hallen, in denen einst der ganze Haushalt ums Feuer versammelt war, wo man gemeinsam arbeitete, feierte, redete, schlief. Und wo man Gästen im wahrsten Sinne des Wortes einen warmen Empfang bereitete.
Bis ins Mittelalter hinein lebten die Menschen in Dielen-, Hallen- oder Einhäusern, da wegen des Rauchs der offenen Feuerstellen der obere Teil der Behausung nicht nutzbar war. Erst als sich Kamine durchsetzten, begann man mit dem Aus- und Anbau, um weitere Zimmer zu schaffen. Man schätzte fortan die Privatsphäre separater Räume. Die Halle verwaiste regelrecht. Das einstige Herzstück der Wohnarchitektur ist bis heute vielfach nur noch gut zum Schuhabtreten und als Abladeplatz für Jacken, Mäntel, Schirme und Hundeleinen. Einladend wirkt das in der Regel nicht. Es ist daher allerhöchste Zeit, dem Flur wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Flur spielt auch in Möbelhäusern keine Rolle
„Kein Raum ist im Laufe der Jahrhunderte in seiner Bedeutung tiefer gesunken als die Eingangshalle“, schreibt der Autor Bill Bryson in seinem Buch „Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge“. Wie tief sie tatsächlich gesunken ist, kann man nicht nur in Mehrpersonen-Haushalten besichtigen, wo die Garderobenhaken direkt neben der Wohnungstür sommers wie winters unter allerlei Outdoorkleidung und -zubehör ächzen, der Teppich eigentlich eine verlängerte Fußmatte mit reichlich Gebrauchsspuren ist und Gäste, die weder an das funzelige Flurlicht gewöhnt noch mit der Umgebung vertraut sind, gern mal über Schuhberge und Skateboards stürzen.
Die Ignoranz und Lieblosigkeit, mit denen das Entrée, das heute oft gar nicht mehr diesen Namen verdient, behandelt wird, zeigen sich auch erbarmungslos in Möbelhäusern. Schon am Infostand ernten Kunden und Kundinnen, die nach der Abteilung Wohnungsflur fragen, ungläubige bis missbilligende Blicke. Für so etwas gebe es keinen Extrabereich, heißt es unisono. Und so wird man je nach Filiale in die „Abteilung für Kleinmöbel“, ins „Spiegelkabinett“ oder „in die Ecke da hinten, wo Garderobenschränke stehen“, verwiesen. Wer seinen Flur einrichten, verschönern, gestalten will, ist auf Resterampen angewiesen oder muss ich mühsam sein Interieur in Läden und Onlineshops zusammensuchen.
Landläufig gilt die Meinung: Der Flur ist verschenkter Platz
„Wieso überhaupt Interieur?“, fragt sich vielleicht mancher. Oft machen die Enge und geringe Quadratmeterzahl von Fluren, insbesondere in Neubauten, das Möblieren fast unmöglich – vor allem, wenn man altersgerecht plant und die Nutzung von Gehhilfen berücksichtigt. Auch Treppen und Türen, die vom Flur aus in andere Bereiche führen, gehen oft zulasten von Stellfläche. Eine Größe von fünf Quadratmetern für den Eingangsbereich gilt unter Baufachleuten als Minimum, auch sollte der Flur nicht schmaler als 120 Zentimeter sein. Dass viele Korridore über das Mindestmaß nicht hinausgehen, ist wohl auch der landläufigen Meinung zu verdanken, dass ein großer Flur verschenkter Platz sei und womöglich die Grundrissfläche anderer, wichtigerer Räume schmälert. Pia Döll, Präsidentin des Bundes deutscher Innenarchitekten (BDIA), gesteht dem Flur jedoch „einen hohen Stellenwert“ zu. Er vermittle Besucherinnen und Besuchern einen ersten Eindruck, sei quasi die Visitenkarte eines Hauses oder einer Wohnung.
„Auf jeden Fall sollte dort genügend Raum sein, um die Garderobe abzulegen und Schuhe zu verstauen“, sagt Döll, die auch selbst als Innenarchitektin mit eigenem Büro in Frankfurt am Main sowohl private als auch öffentliche Räume gestaltet. Statt sperriger Schrankkörper empfiehlt sie helle Einbaulösungen mit verschließbaren Türen, hinter denen Kleidung und Ausrüstung sozusagen versteckt werden können. Denn: „Je schmaler oder kleiner der Flur ist, umso wichtiger ist Ordnung“, betont Döll.
Flur als „Kommunikationszentrale“
Allzu steril sollte es dann aber doch nicht wirken. Zumal der Flur mehr Potenzial hat, als nur Durchgangszimmer und Garderobe zu sein. Für Döll ist der Flur auch „Kommunikationszentrale“. Hier werden Gäste empfangen und verabschiedet, das Festnetztelefon und der Familienkalender haben im Flur verlässliche Plätze, unter einer Treppe kann zudem eine gemütliche Sitz- oder Leseecke entstehen. Eine tote Ecke lässt sich mit einer dekorativen Bodenvase oder einem größeren Windlicht beleben. Als Sitzgelegenheit zum Schuheanziehen kann auch ein ausgefallenes Vintagemöbelstück dienen. Je nach Größe des Eingangsbereichs ließe sich vielleicht auch ein kleiner Schreibtisch fürs Homeoffice aufstellen oder ein Regalbrett an der Wand wahlweise als Stehtisch oder Buchablage nutzen, sagt Döll.
Wer gar keinen Platz für Möbel hat, kann immerhin mit hellen Wandfarben und Spiegeln für optische Vergrößerung sorgen. Darüber hinaus verbreiten gezielt eingesetzte starke Farbakzente, raffinierte Bodenfliesen oder edles Parkett auch auf wenig Raum besonderen Charme. Auch die Akustik spiele eine wichtige Rolle, betont Döll: „Ein zu hohler Klang wirkt auf Gäste, aber auch auf einen selbst distanziert und abweisend.“ Mit der Materialwahl bei der Innenausstattung lasse sich gegensteuern. Holzmöbel oder ein Läufer auf den Fliesen beeinflussen den Hall positiv.
In jedem Fall ist nach Ansicht der Innenarchitektin ausreichende Beleuchtung, idealerweise mit mehreren Lichtquellen, enorm wichtig: „In eine dunkle Höhle mag niemand gern eintreten.“
RND